Mittwoch, 18. März 2015

Rundgang durch die Ausstellung Landesmuseum/Herne




Was ist eigentlich Aberglaube, wie grenzt er sich vom „echten“ Glauben ab. Und ist das überall gleich? Diese Fragen und viele mehr beantwortet die Ausstellung „aberGlaube“. Sie stellt dabei archäologische Objekte mit kultischem Hintergrund neben aktuelle Kunstwerke, die ebenfalls das Thema „Glauben“ behandeln.

Opus Alchemicum, 2014. Ines Braun zeigt hier die verschlungenen Pfade und das breite Spektrum der Alchemisten. Ihre ausgelegten „Köder“ lassen an die Astrologie, die Astronomie, die Metall- und Mineralkunde denken, aber auch an die christliche Mystik. Tatsächlich hatten all diese Wissensgebiete, die heute teilweise dem Aberglauben zugerechnet werden, einen starken Einfluss auf die Alchemie. Vermischt mit mythisch gefärbten Spekulationen über die Wandelbarkeit der Elemente war die Transformation vom Unedlen zum Edlen das oberste Ziel der Alchemie.

Die Wilde Jagd, Installation (Braun/Stephan). Zur Mitte der Raunächte steht nach altem Volksglauben das Geisterreich offen. Die Seelen der Verstorbenen, Dämonen und Gespenster haben Ausgang. Sie brechen als wilde Horde auf. Mit Rasseln, Lärm und Jagdrufen braust sie durch die Dunkelheit und gemahnt die Menschen im Haus zu bleiben, um nicht mitgezogen zu werden.

Hausdrachen 2014, Vogelkäfige, Plastiktiere, Trophäenschilder. Iris Stephan verbindet den Drachenmythos mit dem modernen Begriff der „Hausdrachen“. Beiden gemeinsam ist die Vorstellung, furchterregend zu herrschen und Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Künstlerin empfiehlt, mit beiden Mythen ähnlich zu verfahren: sich nicht Bange machen zu lassen, die Ursachen des Schreckens auf eine angemessene Größe zu bringen und in kleinen Vogelkäfigen zu inhaftieren.


Fabelwesen-Magischer Zoo. Drachen, Einhörner, Minotauren, Seeungeheuer, Werwölfe usw. kennen wir aus Märchen, Sagen und phantastischen Erzählungen. Für die Menschen früherer Zeiten waren solche Wesen real, wenn man sie auch noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Zum Teil schon in der Bibel erwähnt, versuchte schon das Mittelalter sie wie andere Tiere zu kategorisieren und
wissenschaftlich zu beschreiben.

Böses Mädchen 2014, Holz, Tierpfote, 66 x 16 x 23 cm, Iris Stephan. Unter dem Deckmantel der keuschen Wasserträgerin offenbart sich, wie aus Versehen, die wilde, tierische Natur der Protagonistin. Da auch der Teufel nur anhand seines Bocksbeines vom normalen Mann unterschieden werden kann, verleiht die Tatze der harmlos scheinenden Figur ähnliche Deutungsvielfalt.

"...Scherben bringen Glück, aber nur den Archäologen" 2014, Fuchsfell, Scherben, ca. 120 x 50 cm. Iris Stephan persifliert augenzwinkernd den Aberglauben, dass Scherben Glück bringen. Wahrscheinlich geht der Ursprung auf alte Opferrituale zurück, in denen das Zerschlagen der Opferschalen am Ende einer Zeremonie eine wichtige Bedeutung hatte. Scherbenrituale findet man heute noch bei z. B. Schiffstaufen. Dem Fuchs haben die Scherben allerdings kein Glück gebracht. Das Titel-Zitat von Agatha Christie (1890–1976) unterstreicht, wer der Nutznießer ist und eröffnet eine zusätzliche Ebene der Arbeit.


Wetterorakel 2014, Iris Stephan
Vera icon (Das wahre Gesicht), Ines Braun
Wetterorakel I-III 2011, Malerei auf Leinwand, 100 x 120 cm. Die menschliche Abhängigkeit von den Launen einer übergewaltigen Natur mündete in viele Facetten des Aberglaubens. Weissagungen
aus Erscheinungen der Tier- und Pflanzenwelt, des Wetters oder der Jahreszeiten wurden zu Verhaltensregeln umgeformt die helfen sollten, ein kleines Stück scheinbare Sicherheit zu erfinden. Iris Stephan kreiert in ihrer Malerei Wetterphänomene, in denen die zuschauenden Menschen selber zum Teil des Orakels.


Kultorte-Licht und Schatten. Kultorte besaßen und besitzen eine besondere Atmosphäre: Einige Orte erzeugen anziehende und begeisternde Empfindungen und gelten als schützenswert und „heilig“. Andere Orte vermitteln eine beunruhigende, abstoßende und abzuwehrende Stimmung. Häufig markieren Menschen diese Stellen durch Symbole oder besondere Gebäude. An „heiligen“ Orten fühlt sich der Mensch den guten Mächten näher und nutzt sie für die direkte Kommunikation, zum Beispiel durch Gebete. An beunruhigenden Orten verhält sich der Mensch besonders respektvoll und versucht, das Böse zu beschwichtigen.

Die Schreine von Ines Braun stellen die Natur als gottgleich-anbetungswürdige Instanz vor. Gehört dieser – durchaus ernst gemeinte – Ansatz der Künstlerin zu Glaube oder Aberglaube? Was bewirkt eine einzelne Meinung und inwiefern spielen Macht und Geld zur Unterstützung des „wahren Glaubens“ eine Rolle? Gleichzeitig zieht Ines Braun die Herkunft der „echten“ Reliquien in Zweifel. Der Reliquienhandel war ein florierendes Geschäft und man konnte nie sicher sein, ob nicht ein Schafknochen den Platz einer Heiligenreliquie einnahm.

Schaukel-Nkisi 2015, Schaukelpferd, Widderschädel, Nägel, ca. 60 x 80 x 40 cm. Ines Braun bezieht sich mit ihrer Arbeit Schaukel-Nkisi auf afrikanischen Kraftfiguren, die „Nkisi-Skulpturen“. Sie dienen als Gefäße für übernatürliche Mächte und sind mit mineralischen, tierischen oder pflanzlichen Substanzen gefüllt, die die gewünschte Kraft anlocken sollen. Für jedes menschliche Problem, aber auch für die Abwehr von Bösem und sogar für den Abschluss von Verträgen ist ein bestimmter „Nkisi“ zuständig. Jeder Einschlag eines Metallstückes aktiviert den bewohnenden Geist und setzt einen Teil der Kraft frei.



Was bleibt 2014, Fotodruck auf Alu-Dibond, je 90 x 120 cm. Die Künstlerinnen beleuchten mit dieser gemeinsamen Arbeit Kulte um den Tod. Ines Braun zeigt mit Steinen beschwertes Papiergeld auf einem Steinsarkophag und Schutzamulette auf einem philippinischen Friedhof,eine Mumie auf Irian-Jaya. Die Unsicherheit von der Vorstellung des Jenseits wirft Fragen auf: Was brauche ich für die Reise ins Jenseits? Wie wehre ich böse Geister ab? Wie sichere ich mir das Wohlwollen meiner Ahnen? Iris Stephan beleuchtet einen gänzlich anderen Umgang mit dem Tod. In ihren Fotos aus einem naturwissenschaftlichen Museum spielt der Tod dieselbe einschneidende Rolle, allerdings mit anderem Ausgang: Das Sammeln lässt den Tod nicht geschehen, sondern setzt ihn als Dreh- und Angelpunkt zugunsten einer „immerwährenden Aufbahrung“ gezielt ein.


 Jenseitslabor 2014, Installation, 300 x 300 x 200 cm. Das Jenseitslabor von Iris Stephan scheint ein Weltempfänger für Signale aus einer postmortalen Welt zu sein. Allerlei Geräte sind an eine großformatige Landebahn für jenseitige Zeichen angebracht. Ein Mikrofon wartet auf Stimmen Verstorbener... Die hellen Flecken am oberen Ende verweisen auf Nahtod-Erfahrungen, die von Reanimierten oft mit einem hellen, nicht näher bestimmbaren Licht beschrieben worden sind. Die Datenmengen, die im Labor empfangen und kanalisiert werden, scheinen immens zu sein: Zur Auswertung ist ein schlauer Fuchs anwesend, der den Datenstrom bändigen soll.

Die Künstlerwerkstatt. Inmitten der Ausstellung angesiedelt, ist die Werkstatt eine im Prozess befindliche Kunstinstallation. Besucher können so die Entstehung von Kunst live mitverfolgen.


in_memoriam In Gedenken an die Opfer von Hexenprozessen. Der Glaube an Magie, Zauberei gehörte lange Zeit zum alltäglichen Leben. Hexensabbat und Teufelsbuhlschaft wurden als ebenso real angesehen wie Ritte auf Besen und Flugsalbe aus Säuglingshaut. So verschieden die Vorwürfe der Hexerei waren und so unterschiedlich die Folterungen im Prozessverlauf, eins eint alle Hexen und Zauberer: Sie waren Opfer des Aberglaubens. Die aufgeschnittenen Handtaschen symbolisieren die an die Öffentlichkeit gezerrte Intimität der Angeklagten. Die Buchdeckel von alten Gesangbüchern und Bibeln erinnern nicht nur an die Rolle der kirchlichen Inquisition, sondern verweisen auch auf die Erfindung des Buchdrucks, durch den die massenhafte Verbreitung des „Hexenhammers“ und anderer Hetzschriften erst möglich wurde. Durch den Hass in diesen Werken wurden die Scheiterhaufen bevölkert und Wege aufgezeigt, um „... aus  Menschenblut Gold zu machen“.

Bauopfer… so muß was Lebiges hinein!“ Bis weit in die Neuzeit glaubten viele Menschen, dass der Einschluss von etwas Lebendigem in das Mauerwerk einem Bauwerk Bestand verleiht. Ob man auch
Menschen für solche Bauopfer tötete, ist nicht restlos geklärt, Tieropfer sind eindeutig belegt. Die Katze aus Netphen war möglicherweise schon tot, als man sie einmauerte. Ob dieser Zauber wohl noch wirkte? Objekt: Katzenmumie, Fundort: Netphen-Irmgarteichen, Kreis Siegen-Wittgenstein, Datierung: 16. bis Mitte 17. Jahrhundert
Magisches Herbarium 2013, Mischtechnik auf Leinwand, 160 x 120 cm. In diesen Bildern scheint Rauch von Scheiterhaufen aufzusteigen. Unklar und der Phantasie des Betrachters überlassen bleibt, ob es sich um Hexenfeuer oder Brandopfer handelt. Die entscheidende Rolle spielen getrocknete Pflanzen, die Iris Stephan in die Bildoberfläche eingearbeitet hat um so Hinweise auf magische Praktiken zu geben. Das Räuchern gehört wohl zu den ältesten rituellen Praktiken überhaupt.




Amulette, (Ines Braun) 2011, Pfeife, Puppenhand, Puppenaugen.


Die Führungen durch die Ausstellung scheinen großen Anklang zu finden.
Das Orator-Programm (Sonden und Raumkörper) 2012, 12 Objekte. Ines Braun stellt uns mit dieser Objektgruppe ein fiktives Weltraumensemble vor. Es besteht aus Sonden, Landern und Rovern mit spezifischen Forschungsaufgaben in fremden Galaxien. Es beleuchtet nicht nur den menschlichen Wissensdrang, sondern auch das Nichtwissen als Raum für Spekulationen und abergläubischabstruse Vorstellungen.


HaarHäuschen, 2014, Kunsthaar, Holz, Ledereinband, ca. 14 x10 x 10 cm. Durch den Einsatz von Feuer geraten die versengten Häuschen „schicksal kaputt“ und „himmel vielleicht“ zu einem Schaudern machenden seriellen Stillleben. Auch „Ein feste Burg ist unser Gott“ enthält diese klamme Doppelbödigkeit aus niedlichem Haus und Gewalteinwirkung. Hier hat die Künstlerin den ledernen Einband eines alten Gesang-Buches auf eines der Häuschen montiert. Anstelle eines „Eingangs“ prangt nun ein bedrohliches Kruzifix auf der Front. Kirche und ihre sakralen Katechismen als hermetische Black-Box eines uneinsehbaren Geschehens: Einleuchtender und gleichzeitig augenzwinkernder kann sich Kritik nicht spiegeln. Andreas Richartz
Rolf A. Kluenter realisierte seinen Film in Begleitung der beiden Künstlerinnen während der Durchführung, sowie den Vorbereitungs- und Nachbereitungs-Phasen ihrer Shanghaireise im Herbst 2014. Der Mix aus Dokumentarischem und Inszeniertem bestimmt das Gespür von Timing, den Rhythmus unterschiedlicher Erzählebenen, den Aufbau der Szenen und die Emotionalität, die den Film durchziehen. RAPTURE IN TRANSIT moments of magical thinking, HD-video, 2014-2015 “Ekstase im Übergang - Momente des magischen Denkens” zeichnet ein Paradox: auf der Suche nach verbindlich dauerhafter Freude und Begeisterung mit den Fähigkeiten des all-umfassenden Sehens und Erfahrens finden sich sechs Protagonisten im Prozess eines starken Wandels mit unbeständig flüchtigen Momenten wieder.